WG-KÜCHE HAUPTWACHE FRANKFURT

Im Rahmen des Reallabors „Wohnzimmer Hauptwache 2022“, organisiert vom Deutschen Architekturmuseum Frankfurt, installierte ich im Oktober eine WG-Küche an der zentral gelegenen Frankfurter Hauptwache. Im Unterschied zu meinen bisherigen URBAN - URBAR-Installationen bewohnte ich diese Küche selbst eine Woche lang und lernte dabei viel über meine temporären Mitbewohner und ihre Gedanken zum öffentlichen Raum. Hier einige Impressionen aus meinem Projekttagebuch.

Aufbaufilm (0:54)

Sonntag, 9. Oktober (Aufbau)

Die Küche wird an der rückwärtigen Seite des Cafés an der Hauptwache entstehen. Die Aufstellung der Möbel erfolgt mit dem Ziel, einen echten Raum zu errichten, eine Illusion von tatsächlichem Wohnen. Die möglichen Standorte werden ausprobiert und dann markiert. Die Entscheidung zwischen einem hellen PVC-Boden und dem dunkelblauen Teppich fällt zugunsten des Teppichs, da dieser den Raum ideal definiert und die beabsichtigte Wohnlichkeit erzeugt. Es kann losgehen.

AUSZÜGE AUS DEM WG-TAGEBUCH

WG-KÜCHE HAUPTWACHE FRANKFURT

Wir empfangen ersten Besuch von Künstlerkollegen und -kolleginnen aus der Eulengasse Frankfurt. Das lebendige Tischgespräch und eine gemeinsam eingenommene Mahlzeit zeigen, dass die Installation funktioniert. Vor uns am Platz baut sich eine Mahnwache für die Opfer von Halle auf.

Als es dunkel wird, proben wir zum ersten Mal die abendliche Sicherung der Küche. Die wertvolleren Gegenstände wie z.B. die Teppiche, die elektrischen Kleingeräte und unsere Werkzeuge bringen wir in ein Lager auf der unteren Ebene der Hauptwache. Die Möbel schieben wir mithilfe unserer Sackkarre eng zusammen, heben die Stühle auf die Geräte, bedecken alles mit einer großen Folie und umzäunen den so entstandenen Stapel. Dies machen wir ab jetzt jeden Abend und jeden Morgen bauen wir die Küche wieder auf.

WG-KÜCHE HAUPTWACHE FRANKFURT

WG-KÜCHE HAUPTWACHE FRANKFURT

Mittwoch, 12. Oktober

Tulku aus Tibet kommt schon zum dritten Mal, diesmal bleibt er länger und erzählt mir die Reise seines Lebens. Er musste weg aus Tibet und floh mit einer Gruppe von über 30 Personen nach Indien. Auf dieser Flucht starben einige seiner Gruppe, andere gaben auf. Das war für ihn traumatisierend. Tulkus Stationen waren u.a. Indien, Taiwan, Québec, dann wieder Tibet, und in einem zweiten Anlauf Deutschland: Jahre in Bochum und nun Frankfurt. Er arbeitet in einer Küche nahe der Hauptwache und lacht darüber, dass er nun an seinem freien Tag schon wieder spülen muss.

Ein Mann auf einem Fahrrad kommt näher und fragt, wo denn hier das Wohn­zimmer sei. Ich sage ihm, der ganze Platz sei das Wohnzimmer, bei mir aber sei er in der Küche. Darauf murmelt er, da sei aber nirgendwo ein Wohnzimmer, aber er möchte gerne einen Tee. Während er trinkt, erzählt er mir in etwas wirren Worten eine lange, aber unglückliche Liebesgeschichte mit einer Frau, wegen der er obdachlos geworden sei und die jetzt verschwunden sei. Er sucht sie überall, aber weiß nicht einmal, ob sie noch lebt, dabei habe er doch nur etwas Falsches gesagt. Und jetzt ist sie weg und nicht im Wohnzimmer. Als ich mich einmal umdrehe, um dem nächsten Gast einen Tee zu kochen, ist er plötzlich geräuschlos verschwunden.

WG-KÜCHE HAUPTWACHE FRANKFURT

Foto: Anette Völker-Rasor

Gegen Abend gibt es eine Führung mit Andrea Jürges, der Vize-Direktorin des Deutschen Architekturmuseums. Die Gruppe umfasst 20 interessierte Menschen, so viele Stühle habe ich nicht. Also diskutieren wir zum Teil stehend, ob es noch bessere Orte gäbe, ob diese Privatheit vielleicht ein Weg wäre, wie man Städte menschengerecht verändern kann. Alle sind sich einig, dass eine Küche ein symbolträchtiges Bild für die Sehnsucht nach dem Zuhausegefühl darstellt, und dass eine gelingende Stadtgestaltung eher mosaikartig gedacht werden müsste als in einem „großen Wurf“, so dass für viele unterschiedliche Menschen viele unterschiedliche Angebote geschaffen werden könnten.

WG-KÜCHE HAUPTWACHE FRANKFURT

Foto: Anette Völker-Rasor

WG-KÜCHE HAUPTWACHE FRANKFURT

Freitag, 14.Oktober

Zu guter Letzt betreten noch – kurz hintereinander – zwei ältere Frauen die WG-Küche. Sie nehmen beide Platz und wir kommen bei Tee und Plätzchen schnell in ein lebendiges Gespräch. Die eine erzählt uns, dass sie bei jedem Wetter vor die Tür gehe, weil sie die Erfahrung gemacht habe, dass es sich immer lohne. Die andere stammt aus Österreich, wo man sowieso viel mehr in der Natur lebe und daher auch mit schlechtem Wetter kein Problem habe. Die beiden entdecken Gemeinsamkeiten miteinander und sind sich offensichtlich sympathisch. Tipps werden ausgetauscht, wo man in Frankfurt noch mehr Kultur erleben kann und welche Bücher sich zu lesen lohnen. Am Ende gehen sie gemeinsam ein Stück Weg – vielleicht werden sie Freundinnen.

Mein Fazit

Nach einer Woche Leben in der „WG-Küche Frankfurter Hauptwache“ ist eine Erkenntnis zentral: Kommunikation und Interaktion sind menschliche Grundbedürfnisse, nach Pandemie und in Kriegsnähe mehr denn je. Die Niedrigschwelligkeit eines Begegnungsraums wie meiner inszenierten Küche, in die man eingeladen wird und neben Getränken und Gebäck ein freundliches Gesprächsangebot bekommt, wurde von den temporären „WG-Mitbewohnern“ ausnahmslos begrüßt. Die WG-Küche an der Hauptwache war deutlich mehr als eine Installation im eigentlichen Sinne. Durch meine permanente Anwesenheit und die Interaktionen der ständig wechselnden Besucher könnte man in Anlehnung an die soziale Plastik von Josef Beuys von einer sozialen Installation im öffentlichen Raum sprechen.

WG-KÜCHE HAUPTWACHE FRANKFURT